Lebenslauf
Glauben Sie mir, es gab Zeiten, da hätte ich meine Oma geopfert, wenn sich mein Lebenslauf gelesen hätte, wie einer von diesen Wunderkindern: Mit vier die ersten Kompositionen, mit neun ein Orchester und im zarten Alter von 15 bereits Weltruhm. Aber vielleicht passt so ein Lebenslauf einfach nicht zu meiner Musik. Wahrscheinlich! Denn anders lässt es sich nicht erklären, wieso ich erst 19 werden musste, um zum Jazz zu finden.
OK, ich gebe zu, ich habe eine musikalische Ader, sonst hätte ich als Kind bestimmt nicht Trompete und als Teenager Rockgitarre gespielt. Aber Jazz hörte ich erst richtig während meines Studiums in Basel. Dort in den verrauchten, engen Clubs tief unter der Erde entfachte sich meine wahre Begeisterung über die Intensität der "neuen" Musik. Begeisterung über den Respekt, den man den Künstlern entgegen bringt und das Feeling das beim Jazz wie bei keiner anderen Musik so eindrucksvoll rüberkommt. Dort in eben diesen Clubs habe ich die echten Größen des europäischen Jazz gehört.
Peter Brötzmann zum Beispiel, mit dem ich 15 Jahre später in einer Band spielte. Aber vor allem Eddy Marron, der Meister der Rhythmik, der mich mit seinem Gitarrenspiel so nachhaltig beeinflusste, dass ich bei ihm und seiner "Jazz Werkstatt" kurze Zeit später ein vierjähriges Jazz-Studium begann. Währenddessen, ich glaube es muss 1976 gewesen sein, sammelte ich mich um (oder besser) sammelten sich um mich weitere jazzbegeisterte Studenten, die - ja das gab es damals noch - mit ihrer Musik noch echte Botschaften und Inhalte zu transportieren versuchten.
Als Mobiles Einsatz Orchester (MEO) waren wir mit Liedern wie "seid furchtbar und wehrt euch" die musikalische Speerspitze der damaligen Sponti-Bewegung. Meist war die Musik eine Mischung aus Free-Jazz und Jazz-Rock und diente des öfteren als Grundlage heftiger Diskussionen beim Zuhörer. Musik, die nach der Demo nicht einlullte. Sie war der Transformationsversuch "spontimäßiger" Gesellschaftskritik auf Ebene der Kunst. Es folgte mein erstes Trio mit Allan Blairman und damit auch meine ersten eigenen Kompositionen.
1982 passierte dann das, wovon jeder Jazzer träumt: Fünf Musiker treffen sich quasi zufällig zu einer Session und gründen im Handumdrehen eine Band mit dem Namen "Voxtrott", die binnen kurzer Zeit alles bisher dagewesene in Frage stellt.Mit meinen Ruit - Kompositionen spielen wir uns 1982 ins Finale des Newcomer-Festival in Frankfurt.1983 gewinnen wir den WDR Stadtmusikpreis für Jazz und erregen mit unseren Auftritten auf dem Internationalen New Jazzfestival in Moers großes Aufsehen. Wir touren quer durch Deutschland, Südfrankreich und begeistern Kritiker landein und landaus. Aber leider entpuppte sich unser Erfolg nur als Strohfeuer. Die Band löste sich auf und der Traum vom Ruhm zerplatzte wie eine Seifenblase.
An meiner Idee, mit gewagten Grenzgängen die Jazzwelt zu bereichern, hielt ich jedoch fest. Mit der Gunter Ruit Kraus Band tourte ich gemeinsam mit Peter Broetzmann (Saxophon) Ende der 80er dann quer durch die Republik. Ich begann meinen eigenen Unterricht auszubauen und nahm 1986 einen Lehrauftrag im Fachbereich Musiktherapie, Instrumentalfach Gitarre, in Heidelberg an. Hier leitete ich die Big Band " Ruit`s Musikterroristen".
1992 gründete ich das "Duo Secco".
Drei Jahre später startete das Jazz-Avantgarde Projekt "Conjoint" mit David Moufang, Karl Berger und Jamie Hodge, das mit der ersten veröffentlichten CD 1997 "Conjoint" neue Maßstäbe im Ambient Jazz und dem aufkommenden Lounge-Stil setzt. 2000 folgte dann die zweite CD "Earprints", die besonders im Ausland für Furore sorgte. Seit 2001 arbeite ich an meinem ersten Buchprojekt zur modalen Jazz Improvisation.
Und heute?
Heute sitze ich hier und beginne zu begreifen, warum mein musikalischer Lebenslauf so "eigenartig" ist - weil ich Musik auf meine eigene Art spiele und unterrichte. In diesem Sinne wünsche ich gute beats und off beats.